ANOCA (Angina und nicht-obstruktive Koronararterien)
Der Begriff ANOCA kommt aus dem Englischen (angina and non-obstructed coronary arteries) und bedeutet wörtlich übersetzt: Angina und nicht-obstruktive Koronararterien. Diese Diagnose betrifft rund 50 Prozent der Patient:innen, die sich wegen Angina-typischer Beschwerden, wie Schmerzen und Engegefühl im Brustkorb, in ärztliche Behandlung begeben.
Zunächst liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine Angina pectoris handelt. Oft wird daher an eine koronare Herzkrankheit (KHK) gedacht. Können wir bei einer angiografischen Untersuchung jedoch keine relevanten Verengungen (Stenosen) der Herzkranzgefäße nachweisen, erhalten unsere Patientinnen und Patienten die Diagnose ANOCA. Betroffene mit dieser Diagnose können ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben und leiden oft unter einer eingeschränkten Lebensqualität.
Umso wichtiger ist eine Behandlung durch ausgewiesene Spezialist:innen, wie sie in der Abteilung für Kardiologie und Angiologie des Robert Bosch Krankenhauses zu finden sind. Wir beraten und betreuen Betroffene in einer Spezialsprechstunde und können bei der Behandlung auf das umfangreiche diagnostische und therapeutische Leistungsangebot des Robert Bosch Krankenhauses zurückgreifen. Diese umfassende Betreuung von ANOCA-Patient:innen ist einzigartig in Süddeutschland.
Die Ursachen von ANOCA sind komplex und noch nicht vollständig geklärt. Bei einem Großteil der Patientinnen und Patienten liegt jedoch eine Fehlfunktion der Blutgefäße im Herzen zugrunde. Dadurch kommt es im Herzmuskel zu einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und -angebot. Der Herzmuskel wird nicht mehr ausreichend versorgt und es treten Angina-typische Beschwerden wie Schmerzen und Engegefühl in der Brust auf. Diese Fehlfunktionen der Koronargefäße werden als koronare Vasomotionsstörungen bezeichnet. Es können davon sowohl die größeren Herzgefäße (Koronararterien), als auch die kleinsten Gefäße im Herzen (sogenannte Mikrogefäße mit einem Durchmesser von weniger als 500 Mikrometern), wie Arteriolen und Präarteriolen, betroffen sein. Der Sauerstoffmangel, der die Beschwerden im Herzen verursacht, kann dabei entweder durch eine plötzliche krankhafte Verengung der Blutgefäße (Koronarspasmus) und/oder durch eine verminderte Fähigkeit der Gefäße, sich zu erweitern, verursacht werden.
Bei Beschwerden, die durch Vasomotionsstörungen der Mikrogefäße des Herzens verursacht werden, spricht man von mikrovaskulärer Angina pectoris.
ANOCA-Patient:innen leiden unter Angina pectoris-typischen Beschwerden, die den Symptomen einer sogenannten stenosierenden koronaren Herzkrankheit sehr ähnlich sind. Zu diesen Beschwerden gehören Schmerzen und/oder Engegefühl im Brustkorb und Atemnot. Die Brustschmerzen werden oft als brennend, ziehend oder dumpf und drückend beschrieben und können auch auf andere Körperregionen - wie Arme, Unterkiefer, Hals und Nacken oder Oberbauch - ausstrahlen.
Treten diese Beschwerden bei körperlicher Belastung, wie z.B. Treppen steigen auf oder in Verbindung mit emotionalem Stress, sprechen Ärzt:innen von einer stabilen Angina pectoris. Im Gegensatz dazu treten die Beschwerden bei einer instabilen Angina pectoris bereits bei geringster Belastung oder in Ruhe auf, können ausgeprägter sein und länger andauern.
Untersuchungen bei ANOCA
Zunächst nehmen wir bei Betroffenen, die mit Angina pectoris-typischen Beschwerden zu uns ins Robert Bosch Krankenhaus kommen, verschiedene Untersuchungen vor. Dies kann entweder eine bildgebende Ischämiediagnostik (z. B. Stressechokardiografie) oder eine nicht-invasive angiografische Untersuchung mittels Computertomografie (CT) sein. Dabei orientieren wir uns an den aktuellen Leitlinien. Wenn hierbei keine Engstellen der Herzkranzgefäße festgestellt werden, kann die koronare Herzkrankheit als Ursache ausgeschlossen werden und wir veranlassen in Absprache mit Ihnen weiterführende Untersuchungen.
Die genauere Diagnose erfordert in der Regel invasive Funktionstests mit Hilfe der körpereigenen Substanzen Adenosin und Acetylcholin (ACh).
Durch die Provokationstestung mit ACh, dem sogenannten ACh-Test, kann beispielsweise eine krankhaft verstärkte Kontraktionsneigung der Koronargefäße untersucht werden. Hierbei wird ACh während der Herzkatheteruntersuchung in verschiedenen Dosierungen mittels eines speziellen Infusionskatheters in das zu untersuchende Herzkranzgefäß injiziert und mithilfe eines Kontrastmittels dargestellt. Normale, nicht erkrankte Herzkranzgefäße reagieren mit einer Aufweitung; kranke Gefäße dagegen zeigen eine abnormale Reaktion in Form von Koronarspasmen.
Die Untersuchung der Fähigkeit der Koronargefäße zur Ausdehnung (Vasodilatation) kann nach Gabe von Adenosin, einer gefäßerweiternden Substanz, mittels drahtbasierter Druck-/Flussmessung erfolgen, bei der die koronare Flussreserve sowie der Widerstand der Mikrovaskulatur eingeschätzt wird. Die Untersuchung der Gefäßerweiterung kann auch nicht-invasiv nach Gabe von Adenosin mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) oder durch die kardiale Magnetresonanztomografie (Kardio-MRT) erfolgen. Die Entscheidung, welche Untersuchung vorgenommen wird, hängt ab von den geschilderten Beschwerden, den Vorerkrankungen und dem Risiko für eine stenosierende koronare Herzkrankheit.
Die kombinierte invasive Untersuchung der koronaren Kontraktionsfähigkeit sowie der Funktionsfähigkeit zur Gefäßerweiterung wird als „invasive diagnostische Prozedur“ (IDP) bezeichnet. Die Testergebnisse erlauben uns die Einteilung der Vasomotionsstörung in sogenannte Endotypen, die wiederum die Basis für eine angepasste und erfolgsversprechende medikamentöse Therapie sind.
Endotypen der Vasomotionsstörung:
- Epikardialer Spasmus: krampfartige Verengung der epikardialen Koronararterien
- Mikrovaskulärer Spasmus: krampfartige Verengung der Mikrogefäße (Arteriolen und Präarteriolen)
- Vasodilatationsstörung mit reduzierter koronarer Flussreserve
- Vasodilatationsstörung mit erhöhtem mikrovaskulärem Widerstand
- Mischtyp (die verschiedenen Endotypen können auch in Kombination vorliegen
Behandlung einer ANOCA
Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, ESC) empfiehlt in ihren Leitlinien, zusätzlich zur Reduktion der kardiovaskulären Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes mellitus, die Therapie mit Kalzium-Antagonisten und Langzeitnitraten.
Je nach vorliegendem Endotyp, also der Art der Vasomotionsstörung, kann die Erkrankung jedoch eine therapeutische Herausforderung bedeuten, da ein großer Teil der Patient:innen (mit diffus distalen epikardialen Spasmen oder mikrovaskulärer Dysfunktion) nur unzureichend auf die klassischen Medikamente zur Behandlung einer Angina pectoris, wie beispielsweise Nitrate anspricht.
Oft unternehmen wir mehrere Versuche, bis eine individuell wirksame Kombination von Medikamenten gefunden wird. Dabei ist es sehr wichtig, dass Sie uns ihre Erfahrungen mit den Medikamenten mitteilen. Grundlage für die passende individuelle Therapie ist die genaue Diagnosestellung der vorliegenden Vasomotionsstörung, um eine zielgerichtete Behandlung zu ermöglichen. Diese Basis können wir in unserer speziellen ANOCA-Sprechstunde und den umfassenden Diagnostikmöglichkeiten, die wir am Robert Bosch Krankenhaus vorhalten, gewährleisten.
- Universitätsklinikum Aachen, Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Schröder
- Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Kardiologie, Univ.-Prof. Dr. med. Tomasso Gori
- Universitätsklinikum Sendai, Japan, Prof. Dr. med. Hiroaki Shimokawa
- Radboudumc Universitätsklinikum Nijmegen, Niederlande, Dr. med. Peter Damman
- Universitätsklinikum Utrecht, Niederlande, Dr. med. Tim van de Hoef
Führend auch in der Forschung
Professor Dr. med. Peter Ong, Oberarzt der Abteilung für Kardiologie und Angiologie am Robert Bosch Krankenhaus, ist einer der führenden Kardiologen auf dem Gebiet der koronaren Vasomotionsstörungen. Er ist Experte in der Diagnose und Behandlung von Patient:innen mit ANOCA und leitet die ambulante Sprechstunde.
Zudem fungiert er als Leiter der Forschungsgruppe für Koronarphysiologie am Bosch Health Campus, in welchem das Robert Bosch Krankenhaus die Behandlungsexzellenz darstellt.
Die Forschungsgruppe um Peter Ong arbeitet an zahlreichen – auch multizentrischen und internationalen – Studien zur Ursache von Brustschmerz und Luftnot bei Patient:innen ohne relevante Arterienverkalkung der Herzkranzgefäße. Schwerpunkte der Forschung sind Entstehung, Diagnose und Behandlung von Koronarspasmen, dem plötzlichen Verkrampfen der Blutgefäße, sowie von Dilatationsstörungen der mikrovaskulären Herzgefäße, das heißt der eingeschränkten Fähigkeit der Gefäße, sich zu erweitern.