Immuntherapie: die körpereigene Abwehr zur Bekämpfung des Krebs nutzen
Die Behandlung einer Krebserkrankung hängt immer von der Art des Tumors ab und unterscheidet sich individuell von Patient:in zu Patient:in. Dabei werden Standardtherapien wie Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie zunehmend ergänzt durch neue Krebstherapien wie die zielgerichtete Therapie oder die Immuntherapie.
Die Immuntherapie nutzt dabei die körpereigene Abwehr zur Bekämpfung des Krebses. Krebszellen sind bösartig veränderte Zellen und sollten normalerweise von unserem Immunsystem erkannt und abgewehrt werden. Doch nicht alle Krebszellen weisen eindeutige Veränderungen auf; auch können sich Krebszellen schnell abwandeln und Ausweichstrategien gegen eine Immunantwort entwickeln und so zu Krebs führen. Mit der modernen Immuntherapie sollen diese Abwehrmechanismen gezielt ausgeschalten werden, damit das körpereigene Immunsystem die Tumorzellen (wieder) wirkungsvoll bekämpfen kann.
In der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin des Robert Bosch Krankenhauses ist die moderne Immuntherapie fester Bestandteil des Behandlungsspektrums. Als erste Klinik in Stuttgart bietet das Robert Bosch Krankenhaus auch die innovative, sogenannte CAR-T-Zelltherapie an.
Bei einigen Krebsarten zeigen Immuntherapien bereits eine gute Wirksamkeit. Dazu zählen beispielsweise fortgeschrittener Lungenkrebs, das Maligne Melanom und auch einige Formen von Blutkrebs. Doch auch bei diesen Tumorarten profitieren nicht alle Betroffenen von der Immuntherapie. Bei Patientinnen und Patienten, deren Tumor hingegen gut auf die Immuntherapie anspricht, lässt sich die Erkrankung für eine lange Zeit gut kontrollieren.
Formen der Immuntherapie
- Immuntherapie mit Antikörpern bzw. Immun-Checkpoint-Hemmern
- Zelluläre Immuntherapie (u. a. CAR-T-Zell-Therapie)
Immuntherapie mit Antikörpern: was bedeutet das?
Die Therapie mit Antikörpern ist aus der modernen Krebsbehandlung nicht mehr wegzudenken. Antikörper sind kleine Eiweißstoffe, die die Fähigkeit haben, zielgenau bestimmte Strukturen zu erkennen, daran zu binden und dann wie eine Art Markierung dafür zu sorgen, dass die Zielstruktur-tragende Zelle vom Immunsystem zerstört wird. In der Natur dienen sie dem Immunsystem als körpereigene, lösliche Wirkstoffe gegen Infektionserreger. Gentechnisch hergestellte Antikörper, sogenannte monoklonale Antikörper, bilden nun diese Funktion nach, richten sich jedoch nicht gegen Infektionserreger, sondern gegen Tumorzellen. Sie haben die Therapie von Krebserkrankungen in vielen Bereichen deutlich wirksamer gemacht.
Die Substanznamen dieser Wirkstoffe enden auf „-mab“ (kurz für die englische Bezeichnung monoclonal antibody). Sie sind feste Bestandteile der Therapie vieler Krebserkrankungen und werden häufig mit einer Chemotherapie kombiniert (z. B. Rituximab bei Lymphome oder Bevacizumab bei Tumoren des Magen-Darm-Trakts).
Immun-Checkpoint-Hemmer
Bereits sehr erfolgreich eingesetzt in der Immuntherapie ist die Behandlung mit Immun-Checkpoint-Hemmern (auch Immun-Checkpoint-Inhibitoren genannt). Diese Antikörper haben eine immunaktivierende Wirkung, indem sie die vom Tumor hergestellten, immununterdrückenden Signale unterbinden und so bewirken, dass das körpereigene Immunsystem den Tumor verstärkt angreift.
Immun-Checkpoint-Hemmer werden entweder als Einzelsubstanz oder in Kombination mit anderen Antitumorwirkstoffen wie einer Chemotherapie bei vielen Krebserkrankungen eingesetzt (z. B. Atezolizumab beim Lungenkarzinom oder Ipilimumab/Nivolumab beim Malignen Melanom).
Die Antikörper bzw. Checkpoint-Inhibitoren werden in Form einer Infusion verabreicht, häufig kann dies ambulant erfolgen.
Exkurs: Antikörpertherapie
Nicht jede Therapie mit Antikörpern zielt darauf ab, das körpereigene Immunsystem auf Krebszellen zu lenken, und ist damit nicht der Immuntherapie zuzuordnen. Die Behandlung mit Antikörpern kann auch zur Aufgabe haben, andere Prozesse in Krebszellen zu steuern. Diese sogenannten Antikörpertherapien zählen zu den zielgerichteten Therapien und wirken auf Krebszellen, die besondere Merkmale aufweisen.
Antikörper werden beispielsweise auch genutzt, um Chemotherapiemoleküle, die an den Antikörper gekoppelt wurden, zielgenau zur Tumorzelle zu bringen, wie ein Trojanisches Pferd. Man spricht hier von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (z. B. Trastuzumab-Deruxtecan bei Brustkrebs oder Brentuximab-Vedotin beim Hodgkin-Lymphom). Andere Antikörper, sogenannte bispezifische Antikörper, sind so aufgebaut, dass sie Tumorzellen und Abwehrzellen der Patientin:des Patienten (im Speziellen sogenannte T-Lymphozyten) aneinander docken und so dafür sorgen, dass die Abwehrzellen die Tumorzellen zerstören (z. B. Blinatumomab bei der akuten lymphatischen Leukämie oder Teclistamab beim Multiplen Myelom).
Wie die Chemotherapie kann auch die Immuntherapie mit monoklonalen Antikörpern Nebenwirkungen haben. Die beobachteten Nebenwirkungen unterscheiden sich jedoch oft deutlich von denen unter klassischer Chemotherapie und erfordern daher andere Behandlungsstrategien. So können beispielsweise unter Antikörpern, die ihre Wirkung über eine starke Aktivierung des Immunsystems ausüben, möglicherweise Nebenwirkungen durch eine überschießende Immunreaktion auftreten. Dank mittlerweile langjähriger Erfahrung in der Behandlung von Krebspatient:innen mit monoklonalen Antikörpern lassen sich auch diese Nebenwirkungen jedoch in der Regel gut mit Medikamenten kontrollieren.
Zelluläre Immuntherapie: was bedeutet das?
Zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen des Blutes oder der Abwehrzellen werden auch lebende Zellen eingesetzt. Die am längsten etablierten Verfahren sehen die Transplantation mit Blutstammzellen nach vorausgehender Chemotherapie vor. Vor allem bei akuten Leukämien, beim Multiplen Myelom und bei Lymphomerkrankungen werden autologe Transplantationen (mit patienteneigenen Blutstammzellen) und allogene Transplantationen (mit Fremdspender-Stammzellen) durchgeführt.
Bei der autologen Blutstammzelltransplantation werden der Patientin:dem Patienten zunächst eigene Blutstammzellen entnommen. Hierzu verabreicht sich die Patientin:der Patient selbst über einige Tage einen Wachstumsfaktor für weiße Blutkörperchen, der dazu führt, dass Blutstammzellen aus dem Knochenmark in die Blutbahn geschwemmt werden. Im Anschluss werden in einer Art Blutwäsche die Stammzellen abgesammelt und für die Patientin:den Patienten eingefroren.
Im nächsten Schritt erhält die Patientin:der Patient eine hochdosierte Chemotherapie zur Abtötung der Krebszellen. Nachfolgend werden der Patientin:dem Patienten die zuvor gesammelten Stammzellen als Transfusion zurückgegeben (autologe Blutstammzelltransplantation), damit sich das Blutbild und die Abwehrfunktion möglichst schnell erholen.
Dieses Behandlungsverfahren kommt insbesondere beim Multiplen Myelom und bei verschiedenen Lymphomerkrankungen zum Einsatz.
Bei der allogenen Blutstammzelltransplantation werden die Stammzellen nicht bei den Patient:innen selbst, sondern bei einer verwandten Person (in der Regel bei Geschwistern) oder einem passenden fremden Spendenden (z. B. über die DKMS-Stammzellspenderdatei) entnommen. In selteneren Fällen wird auch anstelle aus dem Blut gesammelter Stammzellen Knochenmark verwendet, das direkt aus dem Beckenkamm der spendenden Person entnommen wurde.
Nachfolgend erhält auch hier die Patientin:der Patient eine vorbereitende Chemotherapie, eventuell zusätzlich eine Bestrahlung, und anschließend per Transfusion die Stammzellen (allogene Blutstammzell- bzw. Knochenmarktransplantation). Im Gegensatz zur autologen besteht bei der allogenen Transplantation der therapeutische Effekt weniger in der vorherigen Chemotherapie, sondern vielmehr in den körperfremden Stammzellen. Diese erkennen die Tumorzellen als „fremd“ und töten diese ab (auch Transplantat-gegen-Leukämie-Effekt genannt).
Die allogene Blutstammzelltransplantation kommt insbesondere bei akuten Leukämien zum Einsatz.
Wie läuft die Blutstammzelltransplantation ab?
Während die Antikörpertherapie oder die Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren einfach als Infusion, oft auch ambulant, erfolgt, sind die zellulären Immuntherapien aufwändiger in der Anwendung.
Bei der autologen und allogenen Stammzelltransplantation sind die Betroffenen einige Wochen stationär in Behandlung. Zunächst wird eine Hochdosis-Chemotherapie durchgeführt, die eine maximale Wirkung auf die Krebszellen hat. Dabei wird aber auch das blutbildende System des Knochenmarks nachhaltig zerstört. Deshalb werden in einem zweiten Schritt nach der Chemotherapie die Blutstammzellen als Infusion übertragen. Diese wachsen im Knochenmark ein und übernehmen dann die Blutbildung. Bis sie ausreichend alle Zellen des Blutes bilden können, müssen die Patient:innen stationär überwacht werden. Bei der autologen Transplantation sind die Betroffenen ein bis zwei Wochen, bei der allogenen Stammzelltransplantation mindestens zwei bis drei Wochen stationär im Robert Bosch Krankenhaus.
Während die roten Blutkörperchen und die Blutplättchen meist problemlos durch Bluttransfusionen ersetzt werden können, ist dies bei den weißen Blutkörperchen nicht möglich. Da diese das Immunsystem darstellen, ist die Patientin:der Patient in dieser Zeit insbesondere durch Infekte gefährdet. Fieber tritt in dieser Phase häufig auf und muss von uns durch den Einsatz von Breitbandantibiotika behandelt werden. Auch körperliche Schwäche, Appetitlosigkeit und Störungen von Organfunktionen können währenddessen auftreten. Bei schweren Komplikationen ist eine Behandlung auf unserer Intensivstation notwendig.
Während dieser ganzen Zeit können unsere Patientinnen und Patienten wie gewohnt Besuch bekommen, jedoch sollten die Besuchenden natürlich frei von Infekten sein, um ihre Angehörigen nicht zu gefährden.
Zentrum für Stammzell- und Knochenmarktransplantation.
Die Stammzelltransplantation zur Behandlung mancher Formen von Blutkrebs ist ein etabliertes Verfahren am Robert Bosch Krankenhaus. Wir sind zertifiziertes Zentrum für Stammzell- und Knochenmarktransplantation.
Neuartige CAR-T-Zelltherapie als vielversprechende Therapieoption
Eine besondere Form der zellulären Immuntherapie ist die Behandlung mit sogenannten CAR-T-Zellen, gentechnisch veränderten Immunzellen. Die CAR-T-Zelltherapie steht für ein Verfahren, bei dem in mehreren Stufen das patienteneigene Immunsystem in die Lage versetzt werden soll, die aggressiven Krebszellen zu vernichten.
Aktuell sind CAR-T-Zelltherapien bei jüngeren Erwachsenen mit ungünstigen Verläufen von akuter lymphatischer Leukämie, verschiedenen B-Zell-Lymphomen und Multiplem Myelom verfügbar. Bei der CAR-T-Zell-Therapie handelt es sich um eine sehr innovative zelluläre Immuntherapie, deren Anwendung deutschlandweit nur in spezialisierten Zentren wie dem Robert Bosch Krankenhaus erfolgen kann.
Wie läuft die CAR-T-Zell-Therapie ab?
Für die CAR-T-Zell-Therapie werden dem Blut der Patientin:des Patienten T-Lymphozyten entnommen. T-Lymphozyten, eine Untergruppe der weißen Blutzellen (Leukozyten), übernehmen im Immunsystem als hochspezialisierte Killerzellen eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Infektionen. Diese Eigenschaft wird bei der CAR-T-Zellmethode genutzt. Die T-Zellen der Betroffenen durchlaufen in Speziallaboren einen komplexen Aufbereitungsprozess, bei dem ihnen eine gentechnisch veränderte Erbinformation eingeschleust wird. Sie werden sozusagen umprogrammiert und erkennen als CAR-T-Zellen (CAR = Chimärer Antigen Rezeptor) sehr zielgenau die Krebszellen, die sie effizient zerstören. Bevor den Patientinnen und Patienten die individuell für sie hergestellten CAR-T-Zellen in Form einer Infusion verabreicht werden können, müssen sich die Betroffenen im Krankenhaus zunächst einer Chemotherapie unterziehen, die insbesondere die Lymphozyten, eine Unterform der Abwehrzellen, schädigt. Kommen die CAR-T-Zellen anschließend mit dem Tumor in Kontakt, erkennen sie diesen, vermehren sich und entfalten ihre volle zerstörerische Wirkung gegen den Krebs.
Die CAR-T-Zellen verbleiben als Teil des Immunsystems lebenslang im Körper der empfangenden Person und können so trotz vorausgegangenem Scheitern anderer Therapiemöglichkeiten im Idealfall dauerhaft eine Kontrolle der Krebserkrankung gewährleisten.
Mögliche Nebenwirkungen bei CAR-T-Zell-Therapie
Wenn sich die CAR-T-Zellen stark vermehren, kann dies zu einer überschießenden Immunreaktion mit hohem Fieber, gelegentlich auch Kreislaufschwäche und Atemnot, führen. Auch neurologische Symptome mit Verwirrtheit oder Bewusstseinsstörungen und Krampfanfällen sind möglich. In besonders schweren Fällen kann die Behandlung auf der Intensivstation nötig sein. Da solche Beschwerden auch Wochen später und nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auftreten können, werden Patient:innen und Angehörige vor der Behandlung besonders geschult. Damit ist eine sichere Behandlung unserer Patient:innen gewährleistet.
Das Nebenwirkungsmanagement erfordert eine hohe Expertise, so dass die CAR-T-Zelltherapie deutschlandweit aktuell nur in spezialisierten Zentren zur Anwendung kommt.
Es gibt viele, auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Situationen, für die eine Zelltherapie bessere Ergebnisse verspricht als eine nicht-zellbasierte Behandlung. Prinzipiell lässt sich sagen, dass eine Zelltherapie zum Einsatz kommen kann, wenn eine Krebserkrankung sich als resistent gegen rein medikamentöse oder Antikörper-basierte Therapien erwiesen hat. Oder wenn eine genaue Untersuchung ergibt, dass eine Krebserkrankung mit konventioneller Behandlung aufgrund ihrer bekannten Eigenschaften nicht kontrollierbar werden wird.
Mittlerweile werden auch angeborene, nicht zu den Krebserkrankungen zählende Bluterkrankungen wie zum Beispiel die Sichelzellenanämie, eine angeborene Störung der roten Blutkörperchen, mittels allogener Stammzelltransplantation behandelt. Hier wird die Tatsache genutzt, dass die behandelte empfangende Person nach der Transplantation eine komplett vom Spendenden stammende Blutbildung aufweist. Das heißt, auch die roten Blutkörperchen sind von der spendenden Person.